4. Mai 2021 | Anwendung | Susanne Wüthrich

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Jeder freut sich, wenn er im Leben einen Schritt weiterkommt. Wechselt das Kind vom Kindergarten in die erste Klasse, gehört es nun zu den «Grossen». Erwachsene, die eine Weiterbildung oder eine Zweitausbildung starten, sind ebenso stolz und freuen sich über den bevorstehenden Karriereschritt. Wenn wir uns freuen, produziert unser Körper Glückshormone. Dies gibt uns Schwung und fördert die Lust am Lernen, Herausforderungen anzugehen, Hürden zu überwinden und Zeit in eine Aufgabe zu investieren.

Ob klein oder gross: Wenn’s passiert, empfinden beide gleich

Doch plötzlich stockt es. Nichts will mehr gelingen: Die Erstklässlerin kann ihre Krakelschrift nicht überwinden, der Drittklässler bekundet Mühe mit dem Rechnen und beim Studenten bleibt der Lernstoff trotz mehrfachem Lesen nicht mehr hängen. Auch in der Zweitausbildung kommt es plötzlich zu Prüfungsstress.

Während der Schulstunde oder während des Lernens zu Hause ist es auf einmal viel spannender, aus dem Fenster zu gucken und der vorbeiziehenden Wolke nachzublicken oder den Käfer zu beobachten, der auf dem Fenstersims hin und her spaziert.

Zu Frust und Demotivation ist es nicht mehr weit. Vielleicht schwänzt man die Schule. Oder das Kind beginnt den Unterricht zu stören. Aus Lernstress entstehen Lernblockaden.

Überleben geht vor lernen

Wenn wir uns gestresst fühlen, setzt unser Körper alle Mechanismen in Gange, um dem Stressor begegnen zu können, das heisst, um das Überleben zu sichern. Das war schon bei unseren Vorfahren so: Sie mussten bei einem Angriff des Säbelzahntigers entweder innert Sekunden alle ihre Kräfte für den Kampf mobilisieren oder in Windeseile an einen sicheren Ort rennen.

Auch heute ist dieser Mechanismus überlebenswichtig. In der Regel zwar nicht, um wilde Tiere abzuwehren, aber beispielsweise um blitzschnell auf die Seite zu springen, wenn ein E-Bike rasant und ohne zu bremsen auf uns zukommt. Sobald die Gefahr vorbei ist, beruhigt sich unser Hormonsystem wieder und die Stresshormone bauen sich ab.

Unsere heutigen Gegner heissen jedoch meist Leistungsdruck, Dichtestress, Versagensängste – und das bereits ab Kindesalter. Diese Gegner versetzen uns in Alarmstimmung und die Produktion der Stresshormone Adrenalin und Cortisol läuft auf Hochtouren: Die Muskeln sind gespannt, der Herzschlag ist erhöht, der Atem ist kurz und oberflächlich. Manchmal passiert auch das Gegenteil: Wir ziehen uns zurück, stellen uns tot. In beiden Fällen wird unser Hirnareal, welches für das Lernen zuständig ist, mehrheitlich ausgeschaltet. Auch die Verdauung wird auf Sparflamme getrimmt und das Immunsystem heruntergefahren.

Die Gründe dafür sind banal: Um zu überleben, brauchen wir diese Funktionen in diesem Moment nicht. Die Folgen davon sind jedoch gravierend: Unter Stress ist weder effektives Lernen möglich, noch ist das Gehirn in der Lage, während einer Prüfung das Gelernte abzurufen. Je länger je mehr entstehen Lernblockaden und es treten Beschwerden wie Bauchweh, Blähungen, verspannte Muskeln, Kopfweh oder Müdigkeit auf. Dies erschwert das Lernen noch mehr. Also nichts wie raus aus diesem Modus!

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Lerntypen

Unser Gehirn ist ein komplexes Organ und trotz intensiver Forschung noch ziemlich unbekannt, da unser Denken und Handeln durch viele Einflüsse bestimmt wird.

In vereinfachter Form wird das Hirn eingeteilt in eine rechte und eine linke Hirnhälfte, die über den Balken verbunden sind. Wird der rechten Hirnhälfte das Gestalterische zugeordnet, ist die linke Hirnhälfte eher für die Logik zuständig. Natürlich nutzen wir beide, trotzdem tendieren wir meist in die eine oder andere Richtung. Die dominante Hirnhälfte gibt also grundsätzlich vor, welche besonderen Fähigkeiten wir haben. Sind auch alle Sinne der dominanten Seite zugeordnet, stehen diese besonderen Fähigkeiten unter Stress nicht mehr zur Verfügung. Das heisst: Je nachdem zu welchem Typ ich gehöre, kann ich unter Stress nicht mehr logisch denken. Ich handle planlos oder höre alles wie vernebelt. Hat meine rechte Hirnhälfte das Sagen, reagiere ich unter Stress angespannt, verliere den Überblick, begreife gar nichts mehr und meine verstärkten Bemühungen bleiben fruchtlos.

Bewegung mit allen Sinnen – das Tor zum Lernen

Über unsere fünf Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken – nehmen wir die Umwelt wahr: Was wir gerne anschauen, prägt sich eher ins Gedächtnis. Was wir gerne hören, summen wir vor uns her. Was wir gerne riechen, bleibt in der Nase. Wenn uns etwas schmeckt, möchten wir mehr davon. Und wenn sich eine Bewegung gut anfühlt, sind wir stark und entspannt zugleich. Nutzen wir das fürs Lernen!

Kinesiologie bietet eine breite Palette an Möglichkeiten, um die beiden Hirnhälften aufeinander einzustimmen und «Lernkanäle» zu stärken:

  • Das Auge: Nehme ich wahr, was ich sehe, und wie kann ich meinen Sehlernkanal stärken?

  • Das Ohr: Kann ich das Gehörte einordnen oder braucht dieser Lernkanal Unterstützung?

  • Eindrücke: Was kann ich über die Berührung aufnehmen?

  • Hand: Fällt mir das Schreiben leicht, und kann ich mich verbal gut ausdrücken?

  • Bein/Fuss: Was kann ich über Bewegung aufnehmen?

Wenn wir unsere Sinne und unser Bewegungspotential nutzen, kann Lernen wieder Freude machen. Hier ein paar Möglichkeiten zum Ausprobieren:

Wenn Sie dazu neigen, eher das grosse Ganze zu sehen und Einzelheiten zu übersehen, die Ihnen dann an der Prüfung fehlen:

Packen Sie den Lerninhalt in einen Rap und rappen Sie den Inhalt ein paar Mal ...

Wenn Ihr Kind Mühe beim Diktat hat, könnte eine einfache Übung helfen, den gesprochenen Text besser zu verstehen:

Einfach den Ohrrand von der Ohrmuschel bis kurz vor das Ohrläppchen eine Minute lang massieren und die Ohrläppchen am Schluss dreimal leicht nach unten zupfen – dies ein bis zwei mal täglich und vor jedem Diktat ...

Die Vokabeln wollen einfach nicht in den Kopf? Vielleicht klappt es mit dieser Übung besser:

Das zu lernende Wort laut und gaaaaaanz langsaaaaam aussprechen und dabei ebenso langsam einen Schritt nach vorne gehen – dann das nächste Wort mit dem anderen Bein. Am Ende des Zimmers umdrehen und alle Wörter auf dem Rückweg wiederholen, natürlich wieder gaaaaaanz langsaaaaam ...

Viel Spass!

Ja, und dann braucht es noch … Motivation … Und die kommt nur von innen. Was es damit auf sich hat, ist ein anderes Thema.